Hintergrund Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie (ETRL) muss bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Ziel der Richtlinie ist, dass gleiche oder gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht gleich vergütet wird, also ein diskriminierungsfreies, geschlechtsneutrales Entgeltsystem. Insbesondere Unternehmen ab rund 100 Mitarbeitenden werden dann verpflichtet sein, Vergütungsstrukturen und Vergütungskriterien transparent und nachvollziehbar darzulegen. Aktueller Entwicklungs- und Umsetzungsstand Bisher hat Deutschland die EU-ETRL nicht umgesetzt. Der Umsetzungsprozess hat aber bereits begonnen. Das zuständige Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat eine Kommission mit dem Namen „Bürokratiearme Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie“ eingesetzt. Die Kommission hat am 17. Juli 2025 ihre Arbeit aufgenommen. Am 7. November 2025 wurde der Abschlussbericht der eingesetzten Kommission zur Umsetzung der Richtlinie an die Bundesministerin für Arbeit und Soziales übergeben und veröffentlicht. Dieser enthält konkrete Vorschläge für die Handhabung rechtlicher Zweifelsfragen sowie Hinweise, die zu einer möglichst bürokratiearmen Umsetzung beitragen sollen. Der Referentenentwurf wird spätestens für Januar 2026 erwartet. Die Anforderungen für Unternehmen sind jedoch komplex. Daher häufen sich zunehmend folgende Fragen: Wie gelingt ein transparentes, objektives Bewertungssystem? Welche Konsequenzen drohen bei fehlerhafter Bewertung, und wie gelingt die Abstimmung zwischen HR, Führungskräften und dem Betriebsrat? Antworten auf die wichtigsten Fragen für eine rechtssichere und praxisnahe Umsetzung zeigen wir Ihnen nachfolgend auf. Für Arbeitgeber ist in jedem Falle ratsam, sich bereits jetzt auf die zu erwartenden Änderungen vorzubereiten. Vorbereitungsmaßnahmen Da das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der ETRL nicht abgeschlossen ist und aktuell kein Gesetzesentwurf vorliegt, ist es derzeit noch schwierig, konkrete Umsetzungshinweise zu geben. Bei einigen Inhalten der ETRL ist zudem noch ungeklärt, wie der deutsche Gesetzgeber diese umsetzen wird. Da aber schon jetzt davon ausgegangen werden kann, dass die ETRL Verschärfungen mit sich bringen wird, sollten bereits jetzt entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, um den verschärften Anforderungen gerecht zu werden: Analyse der bestehenden Vergütungssysteme Entgeltsysteme müssen zukünftig so ausgestaltet sein, dass anhand objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien beurteilt werden kann, ob sich Beschäftigte im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden. Als Vorbereitungsmaßnahme sollte daher eine Analyse der aktuellen Entgeltstruktur vorgenommen werden. Davon umfasst sein sollten nach Art. 3 Abs. 1 a) sämtliche Entgeltbestandteile. Das sind Gehälter, Tarifgehälter, AT-Gehälter sowie alle sonstigen (variablen) Vergütungen, also auch Boni, übertarifliche Zulagen, Sonderzahlungen, Dienstwagen, Provisionen und sonstige Zusatzleistungen. Analyse der aktuellen Entgeltstruktur: Welche Vergütungsregelungen existieren im Unternehmen (Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Vergütungsordnung)? Auf welcher Grundlage werden einzelne Entgeltbestandteile gewährt? Welche Vergütungsbestandteile existieren? Wie sind diese zusammengesetzt? Gibt es derzeit geschlechtsbezogene Unterschiede? Sind Tarifverträge nach der ETRL privilegiert? Die heute in § 4 Abs. 5 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) verankerte Angemessenheitsvermutung für Tarifverträge ist in der ETRL nicht zu finden. Wir setzen uns zusammen mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) weiterhin dafür ein, dass diese Regelung auch in der neuen Fassung des Entgelttransparenzgesetz erhalten bleibt. Selbst wenn die „Angemessenheitsvermutung für Tarifverträge“ nicht im zukünftigen Entgelttransparenzgesetz enthalten sein wird, heißt das nicht, dass tarifliche Entgeltsysteme nicht mit den Bestimmungen des Entgelttransparenzgesetzes übereinstimmen. Diesbezüglich werden wir die Tarifverträge für die Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitende Industrie eingehend überprüfen. Unabhängig davon, ob eine Angemessenheitsvermutung zukünftig im Entgelttransparenzgesetz enthalten sein wird, kann sich als weitere Vorbereitungsmaßnahme eine Überprüfung der richtigen Anwendung der tariflichen Regelungen bei der Eingruppierung von Beschäftigten anbieten. Die (korrekte) Eingruppierung in eine identische Entgeltgruppe kann nämlich ein Indiz für eine gleichwertige Arbeit sein. Ob die bisherige Privilegierung tarifgebundener und tarifanwendender Arbeitgeber durch die Fiktion der Gleichwertigkeit in § 4 Abs. 5 Satz 2 und in § 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 EntgTranspG erhalten bleibt, ist ebenfalls noch offen.Einführung eines objektiven Bewertungssystems Lohngleichheit soll nicht nur für gleiche, sondern auch für gleichwertige Arbeit gelten. Die Richtlinie überlässt es den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Konzepte zu entwickeln, um den Wert der Arbeit zu ermitteln und vergleichen zu können. Obligatorische Kriterien für die Bewertung sind nach Art. 4 Abs. 4 jedenfalls Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen und ggf. weitere Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position relevant sind.Hinweis: Der Erwägungsgrund 26 erläutert hierzu, dass die Beschränkung auf die vier Hauptkriterien insbesondere Kleinstunternehmen sowie kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) vor Überlastung schützen soll. Weitere Faktoren wären nach Erwägungsgrund 26 im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH berufliche Anforderungen sowie Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsbildungsanforderungen.Einbindung aller Beteiligten Führungskräfte und Personalabteilungen sollten in den Prozess eingebunden werden. Damit soll die Umsetzung fair, nachvollziehbar und transparent erfolgen.Wann sollte der Betriebsrat einbezogen werden? Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte bei der Entgeltgestaltung. Bei der Schaffung der Entgeltstruktur, insb. dem analytischen Job-Grading und der Gestaltung der fachlichen Bewertungskriterien, ist eine Einbeziehung des Betriebsrats jedoch nicht erforderlich. Hiervon wird auch dringend abgeraten. Die Schaffung der Entgeltstruktur sollte zunächst rein arbeitgeberseitig erfolgen. Sofern der Betriebsrat bei der Bewertung der Entgeltstrukturen (gemeinsame Entgeltbewertung) einbezogen wird, sind dem Betriebsrat nur die Prozentwerte – nicht die Eurowerte – mitzuteilen.Vergütungsentscheidungen dokumentieren Es sollte dokumentiert werden, wie Vergütungsentscheidungen zustande kommen, damit Arbeitgeber bei Bedarf transparent Auskunft geben können. Auch interne Audits und regelmäßige Überprüfung der Vergütungsstrukturen stehen auf der Agenda. Ab einer Unternehmensgröße von mindestens 100 Beschäftigten sieht Art. 9 eine Berichtspflicht des Arbeitgebers zum innerbetrieblichen geschlechtsspezifischen Lohngefälle vor, wobei die Richtlinie hier in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße gestaffelte Übergangsfristen bis 2031 vorsieht.Wer ist wann von den Berichtspflichten betroffen? Arbeitgeber mit ≥ 250 Arbeitnehmern bis zum 7. Juni 2027 und danach jährlich Arbeitgeber mit 150 bis 249 Arbeitnehmern bis zum 7. Juni 2027 und danach alle drei Jahre Arbeitgeber mit 100 bis 149 Arbeitnehmern bis zum 7. Juni 20231 und danach alle drei Jahre Arbeitgeber mit < 100 Arbeitnehmern auf freiwilliger Basis Achtung Auskunftsanspruch: Der Auskunftsanspruch nach Art. 7 ist von der Unternehmensgröße unabhängig. Es kann daher als Vorbereitung sinnvoll sein, sich mit den in Art. 9 geforderten Inhalten eines solchen Berichts vertraut zu machen und die Zuständigkeit für die Erstellung eines solchen Berichts festzulegen. Eventuell wird eine Anpassung von HR-Systemen zur Erfassung und Auswertung von Entgeltdaten nach Geschlecht und Tätigkeit notwendig sein, um einen Entgelttransparenzbericht erstellen zu können. Daher kann es zur Vorbereitung auch sinnvoll sein, sich nach geeigneten Softwarelösungen zur Erstellung solcher Berichte auf dem Markt umzusehen. Hinweis: Nach Art. 11 sollen Arbeitgeber mit weniger als 250 Beschäftigten Unterstützung, insbesondere in Form von technischer Hilfe erhalten, um die Einhaltung der Vorgaben aus der Richtlinie zu erleichtern. Wie und ob der deutsche Gesetzgeber diese Regelung umsetzen wird, ist unbekannt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, die staatlichen Angebote zu nutzen oder nicht.Überprüfung der betrieblichen Prozesse zur erweiterten Auskunftserteilung Nach Art. 7 Abs. 3 müssen Arbeitgeber alle Arbeitnehmer jährlich über ihr Recht, Auskünfte zu verlangen und das Prozedere der Antragsstellung aktiv informieren. Daher sollten auch die betrieblichen Prozesse zur erweiterten Auskunftserteilung überprüft werden, wobei jährliche Informationsmaßnahmen nicht unbekannt sein dürften. So sind die Arbeitnehmer bereits jetzt etwa zur Vermeidung unverfallbarer Urlaubsansprüche jährlich über das Urlausrecht aufzuklären (vgl. HPV-Leitfaden zum Verfall von Urlaubsansprüchen und Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers, abrufbar auf der HPV-Website im Mitgliederbereich unter Leitfäden Recht). Hinweis: Arbeitgeber sind nach Art. 6 verpflichtet, ihren Beschäftigten Informationen darüber, welche Kriterien für die Festlegung ihres Entgelts, der Entgelthöhe und der Entgeltentwicklung verwendet werden, zur Verfügung zu stellen. Flankiert wird diese Arbeitgeberpflicht durch, im Vergleich zum bisherigen deutschen Entgelttransparenzgesetz erweiterte Auskunftsrechte der Arbeitnehmer. Diese werden das Recht haben, Auskunft über ihr individuelles Einkommen und über die durchschnittlichen Einkommen zu verlangen – aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Dieses Recht wird für alle Arbeitnehmer unabhängig von der Größe des Unternehmens bestehen. Anders als das bisherige deutsche Recht wird hier nicht auf den Median abgestellt, sondern auf den Durchschnitt der Entgelthöhen. Damit können Arbeitnehmer in Erfahrung bringen, wie sie im durchschnittlichen Vergleich entlohnt werden und bei kleiner Vergleichsgruppe, das konkrete Gehalt der Kollegen ermitteln.Überprüfung der Rekrutierungsprozesse und Stellenausschreibungen Im Bewerbungsverfahren sind Bewerbern laut der ETRL zukünftig vor dem Vorstellungsgespräch Informationen zum Einstiegsgehalt, zur Gehaltsspanne, zu den Bestimmungen eines Tarifvertrages, die für die Position einschlägig sind, mitzuteilen. Das kann, muss aber nicht in der Stellenausschreibung geschehen. Bewerber dürfen zukünftig auch nicht nach ihrer bisherigen Gehaltshistorie gefragt werden. Als Vorbereitungsmaßnahme empfiehlt sich daher zunächst eine Überprüfung und ggfs. Anpassung der bestehenden Rekrutierungsprozesse. Ebenso können Musterschreiben für die Bewerber, mit denen die Entgeltinformationen mitgeteilt werden, bereits vorbereitet werden. Die weitere Vorgabe der ETRL, dass Stellenausschreibungen geschlechtsneutral erfolgen und Einstellungsverfahren auf nichtdiskriminierende Weise erfolgen müssen, ist bereits heute zu beachten. Auch hier empfiehlt sich eine Analyse und eine etwaige Anpassung der bisherigen Einstellungsprozesse.Überprüfung der Arbeitsverträge auf entgeltbezogene Verschwiegenheitsklauseln Nach Art. 7 Abs. 5 dürfen Arbeitnehmer nicht daran gehindert werden, ihr Entgelt offenzulegen, um den Grundsatz des gleichen Entgelts durchzusetzen. Es ist daher damit zu rechnen, dass entgeltbezogene Verschwiegenheitsklauseln in Arbeitsverträgen zukünftig unwirksam sein werden. Sofern Musterarbeitsverträge solche Klauseln enthalten, können diese überarbeitet oder gestrichen werden, zumal bereits heute solche Klauseln kritisch gesehen werden, zumindest ohne ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung von Gehaltsdaten. Die vom HPV erstellten Arbeitsvertragsmuster werden diese entsprechend überprüfen und ggf. anpassen.Rechtfertigung möglicherweise bestehender Entgeltunterschiede Wird im Rahmen der Analyse der Lohnstruktur ein Unterschied bei der durchschnittlichen Entgelthöhe von mindestens 5 % festgestellt, besteht nach der ETRL Handlungsbedarf, wenn die Entgeltunterschiede nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt werden können. Es empfiehlt sich daher, bereits jetzt die Hintergründe etwaiger Entgeltunterschiede festzustellen und zu prüfen, ob die Unterschiede auf der Grundlage objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien gerechtfertigt werden können.Fazit Die ETRL bringt weitere Verschärfungen mit sich. Die Umsetzungsfrist der Richtlinie läuft bis Juni 2026. Bis dahin müssen Entgeltstrukturen geschaffen und eingeführt werden; Abweichungen im Gehalt sollten (möglichst) abgeschmolzen sein. Daher ist bereits unmittelbares Handeln gefragt. Checkliste Vorbereitungsmaßnahmen: ✅ Analyse der bestehenden Vergütungssysteme ✅ Einführung eines objektiven Bewertungssystems (Art. 4 beachten) ✅ Einbindung aller Beteiligten zum richtigen Zeitpunkt ✅ Vergütungsentscheidungen dokumentieren ✅ Überprüfung der betrieblichen Prozesse zur erweiterten Auskunftsbeteiligung ✅ Überprüfung der Rekrutierungsprozesse und Stellenausschreibungen ✅ Überprüfung der Arbeitsverträge auf entgeltbezogene Verschwiegenheitsklauseln ✅ Vergütungsentscheidungen dokumentieren ✅ Prüfen und Dokumentieren von objektiven, geschlechtsneutralen Rechtfertigungsgründen bei bestehenden Entgeltunterschieden